- ISBN 9783889752055
T. Derbent
Clausewitz und der Volkskrieg
Nebst den Hunderten von Texten, die ihm gewidmet worden sind, wurde Clausewitz’ Hauptwerk Vom Kriege von Marx, Engels, Lenin, Stalin, Giap und von vielen anderen revolutionären Strategen diskutiert, zitiert und mit Anmerkungen versehen. Es entspricht im strategischen Bereich dem, was Hegels Gedanke im philosophischen oder Adam Smiths Gedanke im wirtschaftlichen Bereich war: eine konstitutive Quelle des Marxismus-Leninismus. Erst durch die militärischen Schriften von Mao Tse Tung[1] wurde eine revolutionäre militärische Politik theoretisch vollständig und zusammenhängend niedergeschrieben; weder Marx noch Engels, weder Stalin noch Lenin haben ein Werk in Angriff genommen, das Vom Kriege derart übertroffen hätte wie etwa Das Kapital Der Reichtum der Nationen übertroffen hat. Uns sind aber zahlreiche Reflektionen und Anmerkungen in Briefen, Artikeln und Manuskripten überliefert worden, die uns eine Annäherung an die Idee, die sich die Gründer des Marxismus-Leninismus über den Wert und die Grenzen von Clausewitz’ Denken machten, ermöglichen. Dieser Text untersucht also die Thesen von Vom Kriege aus der Perspektive des Volkskrieges, welche auch für die Auswahl der in dieser Ausgabe veröffentlichten Texten bestimmend war.
[1] Hauptsächlich: Strategische Probleme des revolutionären Krieges in China (1936), Strategische Probleme des Partisanen-krieges gegen die japanische Aggression (1938), und vor allem Über den langwierigen Krieg (1938). Ausgewählte Werke, Peking, Verlag für fremdsprachige Literatur, 1968, Bd. I, S. 209-298, Bd. 2, S. 83-125 und S. 127-228.
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Vorwort ( zu T. Derbents Buch Clausewitz und der Volkskrieg)
Die revolutionäre Bewegung befindet sich zur Zeit in einem Stadium der Defensive. Es gibt in Westeuropa keine kommunistische oder andere revolutionäre Kraft, welche auf eine breite gesellschaftlichen Basis orientierend wirken kann. Andererseits steckt die kapitalistische Produktionsweise seit Jahrzehnten in einer generellen Krise, die sich periodisch verschärft. Ein Ausdruck davon ist eine Entwicklung aller gesellschaftlichen Kräfte gegen rechts. Davon ist auch das Proletariat nicht ausgenommen. Das Fehlen der orientierenden Kraft drückt sich in der Zustimmung aus, die reaktionär-populistische Parteien und Strömungen auch aus bestimmten proletarischen Schichten haben.
Unser Motiv, T. Derbents Clausewitz und der Volkskrieg in deutscher Sprache herauszugeben, sehen wir einerseits in dieser Situation selbst und andererseits in den Aufgaben, welche KommunistInnen in einer solchen Situation haben: am Aufbau der subjektiven Kräfte der Revolution zu arbeiten. Neben Fragen der Propaganda, der Politisierung und Organisierung neuer Kräfte und der Bildung von stabilen Strukturen geht es insbesondere darum, wissenschaftlich an den revolutionären Prozess heran zu gehen. Auf dem Gebiet der Kritik der politischen Ökonomie versteht sich das von selbst, und auch der dialektische Materialismus als Grundlage marxistischer Erkenntnis gehört zu unserem wissenschaftlichen Fundament. Weniger selbstverständlich erscheint einem das für den militärischen Bereich, den wir als Teil des wissenschaftlichen Sozialismus betrachten. Was bringt es, so könnte man fragen, in Zeiten der Defensive, in der das Thema einer Machteroberung in weite Ferne gerückt zu sein scheint, militärische Fragen zu behandeln?
Es gibt aus den vergangenen Jahrzehnten viele militärische Erfahrungen revolutionärer Bewegungen auch im metropolitanen Bereich. Diese Erfahrungen sind in den wenigsten Fällen politisch aufgearbeitet, geschweige denn theoretisch verallgemeinert worden, was aber für den gegenwärtigen und zukünftigen revolutionären Prozess unumgänglich wäre. Die Arbeit „Clausewitz und der revolutionäre Krieg“, so wissenschaftlich sie auch angegangen wurde, kann diese Aufarbeitung zwar nicht ersetzen, aber zumindest wichtige Grundlagen dafür liefern.
Lenin, dem im vorliegenden Band auch ein Kapitel gewidmet ist, kann als Vorbild für das Gesagte dienen. 1914, nach Ausbruch des Ersten imperialistischen Weltkriegs und dem Zusammenbruch der Zweiten Internationale an der Frage der Kriegskredite begab er sich von September bis November wenn immer möglich in die Berner Landesbibliothek, um Hegels Wissenschaft der Logik zu studieren und zu exzerpieren, wahrscheinlich im Hinblick auf das Verfassen eines grundlegenden Werkes zur marxistischen materialistischen Dialektik. In ähnlicher Weise wie zur Logik hat er uns ein Exzerptheft zu seinem Studium von Clausewitz Vom Kriege hinterlassen. Er studierte das Werk erstmals im Anschluss an die 1905er Revolution, und das Buch befand sich auch in seinem Gepäck, als er im Sommer 1917 vorübergehend untertauchen musste. Als Anhang drucken wir seine Notizen dazu ab, wie sie 1957 vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED in deutscher Sprache herausgegeben worden ist. Leider fehlt der Text in den 40-bändigen Lenin-Werken.
Ferner findet sich im Anhang ein von uns erarbeitetes Schema Organisationsstruktur und Militär-Apparat der KPD 1920-1933. Es dient als Illustration zum Kapitel 22: Clausewitz und die militärischen Strukturen de KPD (1920-1945). Wir verweisen in diesem Zusammenhang auch auf das im gleichen Verlag erscheinende andere Buch von T. Derbent mit dem Titel Der deutsche kommunistische Widerstand 1933-1945. Auch dazu liefert das Schema Anschauungsmaterial.
Viele Gedanken von Clausewitz lassen sich auch auf eine militante Alltagpraxis von heute übertragen, wobei der militärische Begriff der Defensive, der Clausewitz in der Regel die Überlegenheit vor der Offensive zuspricht, nicht mit dem oben verwendeten politischen Begriff verwechselt werden darf.
Die Defensive als strategisches Konzept gilt es insbesondere von der defensiven proletarischen Wehrhaftigkeit abzugrenzen. Diese hat ihre Wurzeln in der österreichischen Sozialdemokratie. Ihr liegt eine legalistische und reformistische Vorstellung über die Veränderung der gesellschaftlichen Zustände zugrunde, wonach die proletarische Wehrhaftigkeit erstens ein Instrument zur Verteidigung der Republik gegen faschistische und rechtsbürgerliche Angriffe und zweitens ein Druckmittel in der innenpolitischen Auseinandersetzung zwischen Sozialdemokratie und Bourgeoisie ist, nicht aber eine revolutionäre Methode zur bedingungslosen Eroberung der Macht durch das Proletariat.
Die aktive Defensive hat nichts mit beschaulichem Abwarten zu tun. Die Defensive ist eine unumgängliche Kampfphase zur Formierung von Kadern und Sammlung der Kräfte in Erwartung kommender Veränderung der objektiven Verhältnisse. Auf allen Feldern der subjektiven Seite, das heisst der Strategie, der Methoden, der Organisierung und der Mittel sollte der Aufbauprozess vorangetrieben werden. Die Phase der Defensive verstehen wir als Ausgangspunkt, als eine Periode des Aufbaus, der Verteidigung und der Sammlung der Kräfte. Unter Vermeidung unvorteilhafter Konfrontationen besteht die momentane Aufgabe darin, den Feind in permanenter Anspannung zu halten und so Schritt für Schritt die revolutionären Kräfte zu stärken.
T. Derbent hat sich eine hoch wissenschaftliche Herangehensweise zu eigen gemacht, die sich auf die Verarbeitung einer Unzahl von Quellen stützt. Selbstverständlich setzt er die Arbeit an diesem Thema fort (www.agota.be/t.derbent/). Limitiert sind die Quellen vor allem dadurch, dass er sich auf Texte stützen muss, die in französischer und teilweise englischer Sprache verfasst sind oder von denen entsprechende Übersetzungen vorliegen. Für die deutsche Ausgabe haben wir wenn immer möglich auf die deutschen Originaltexte oder auf zugängliche deutsche Übersetzungen zurückgegriffen.
Für die sorgfältige deutsche Rohübersetzung danken wir dem anarchistischen Genossen Marco Camenisch, Langzeitgefangener Italiens und der Schweiz. Professionelle Unterstützung erhielten wir im Hinblick auf die deutschen Literaturrecherchen und bei der sprachlichen Glättung des Textes von Nicole Weiss, der wir ebenfalls sehr danken.
Zürich, im Juni 2011 Revolutionärer Aufbau Schweiz
ISBN.: 978 38 89752 05 5
Preis: 12.00 EUR